Der
Jobmarkt im Silicon Valley
ist leergefegt. Mit 4,4
Prozent haben die USA für
internationale
Verhältnisse schon eine
traumhaft niedrige
Arbeitslosenrate, aber die
Bay Area übertrifft den
Rest des Landes noch
einmal deutlich: Nur 2,5
Prozent der Menschen im
Tal haben keine Arbeit.
Harris Miller, Präsident
der Information Technology
Association of America
(ITAA) schätzt, daß rund
50.000
Jobs
im Silicon Valley
unbesetzt sind. Und das,
obwohl die
durchschnittlichen
Gehälter im Vergleich
zum Rest der USA schon
25 bis 30 Prozent höher
liegen. Dennoch gelingt
es nicht, genügend
amerikanische
Arbeitskräfte zu finden,
die den hohen fachlichen
Anforderungen
entsprechen.
Robert
Otis, Vice President der
Personalberatung Atlantic
Research
Technologies:
„Als Technologiezentrum
benötigt das Tal
Menschen, die neue Ideen
aufgreifen und aus ihnen
Produkte machen. An
diesem Ort, an dem so
viele Ideen für
Computer,
Software,
Telekommunikation, IT,
Halbleiter,
wissenschaftliche
Geräte, Biomedizin und
Biotechnologie
hervorsprudeln, gibt es
geradezu grenzenlosen
Bedarf an Managern für
Forschung und
Entwicklung, Technik,
Qualitätskontrolle,
Produktion,
Distribution, Einkauf,
Marketing, Vertrieb,
Kundendienst,
technischen Support,
Datenverarbeitung,
Finanzen und allgemeine
Managementaufgaben. Zur
Zeit fehlen besonders
Manager, die
Finanzierungen für
Start-ups auf die Beine
stellen, ebenso Leute
für Marketing und
Vertrieb.“
Die
Unternehmen im Tal
müssen sich also etwas
einfallen lassen, um den
Mangel an guten Leuten
nicht zur
Wachstumsbremse werden
zu lassen. Und so
greifen etliche
inzwischen tief in die
Trickkiste, um neue
Mitarbeiter zu werben.
„Work for us“, wird der
Autofahrer auf riesigen
Billboards links und
rechts der
Hauptverkehrsader, dem
Highway 101, angemacht –
ganz platt und
ohne
Umschweife. Im
Lokalradio laufen
Commercials für
Arbeitsplätze ganz
selbstverständlich
zwischen solchen für
Kartoffelchips und
neueste Kinothriller.
Auch in Fußballstadien
und vor dem Hauptfilm im
Kino wird der Zuschauer
animiert, doch mal über
eine Bewerbung
nachzudenken.
AGRESSIVES
ABWERBEN Besonders
aggressiv in der
Disziplin des
Headhuntens ist Cisco
Systems. Die Netzwerker
aus San Jose scheuen
keine Mühe, die Elite
auch mit ungewöhnlichen
Mitteln ins Haus zu
locken. Wer sich direkt
von der Web-Site des
Erzrivalen 3Com zu Cisco
klickt, wird automatisch
mit den Worten
„Willkommen bei Cisco.
Brauchen Sie einen Job?“
begrüßt. Das
Online-Bewerbungsformular
der Cisco-Website hat
einen „Panik-Knopf“, mit
dessen Hilfe sich in
Sekunden etwas völlig
anderes auf den
Bildschirm zaubern läßt,
wenn Bewerber durch
unerwarteten Besuch von
Kollegen oder dem Chef
an ihrem Arbeitsplatz
überrascht werden.
Cisco-Mitarbeiter
erhalten saftige Prämien
für das Werben neuer
Mitarbeiter und
betrachten dies vielfach
als lukrativen
Freizeitsport. Ihre
Methoden seien
perfektioniert, sagt
Barbara Beck, und es
landeten etwa 100
Anfragen pro Woche auf
ihrem Schreibtisch.
Dennoch hat die
Vize-Personalchefin von
Cisco regelmäßig etwa
400 Stellen, für die sie
einfach keine Leute
findet. Und dies, obwohl
das Unternehmen durchaus
bereit sei, auf
Sonderwünsche
einzugehen, um
qualifizierte
Mitarbeiter zu gewinnen.
Doch
nicht nur erfahrene
High-tech-Worker werden
umworben. Auch
Uni-Absolventen haben
jede Menge Auswahl.
Besonders wer Computer
Science oder Business
seine Expertise nennt,
hat gute Karten. Aber
auch Felder wie
Gesundheitswesen,
Medizin, Finanzen,
Medien, Unterhaltung und
Ausbildung punkten sehr
gut, stellt Jessie
Woolley, President des
Kaplan Professional
Career
Services, fest. Viele
Studenten könnten sich
erlauben, wählerisch zu
sein. Take Langford zum
Beispiel, die in diesem
Frühjahr ihr Studium der
Computerwissenschaften
in Stanford beendete,
hatte die Wahl zwischen
fünf Jobangeboten mit
Jahresgehältern zwischen
44.000 und 50.000 Dollar
und einem Abschlußbonus
von bis zu 5.000 Dollar.
Der
starke Jobmarkt kommt
nicht nur Studenten von
Elite-Universitäten und
von technischen oder
informationstechnischen
Fächern zugute. Auch
gute Absolventen, die
sich auf so klassische
Themen wie
Finanzbuchhaltung
spezialisiert haben,
erhalten nach Aussagen
von Jessie Woolley in
der Regel mehrere
Angebote, die zwischen
30.000 und 40.000 Dollar
Jahresgehalt liegen.
Lediglich Absolventen
der schöngeistigen
Wissenschaften müssen
beim Gehalt Abstriche
machen. Der Schnitt
liegt hier unter 30.000
Dollar. Voll im Trend
ist es bei Studenten und
Unternehmen inzwischen,
das Internet zur Job-
und Bewerbersuche zu
nutzen.
Online-Bewerbungen haben
den Vorteil, daß sie
sich rasch auswerten
lassen. Und die besten
Kandidaten werden gleich
per E-Mail zum Gespräch
eingeladen.
BARRIERE:
VISUM Verstärkt sehen
sich die Unternehmen der
Bay Area auch
international an
Universitäten und auf
den Arbeitsmärkten um.
Doch eine Hürde stellt
sich ihnen dabei immer
wieder in den Weg: das
Visum. Der
amerikanische
Kongreß verdoppelte im
Oktober 1998 die Zahl
der H-1B-Visa, die für
die Anstellung
ausländischer
Mitarbeiter nötig ist.
Nachgeholfen hatte
massives Lobbying
führender
Silicon-Valley-Unternehmen.
Die
politische Entscheidung
war nicht
leichtgefallen.
Konservative Politiker
sehen in der weiteren
Öffnung des
amerikanischen
Jobmarktes für Ausländer
eine Gefahr für die
nationale
Beschäftigungssituation
im High-tech-Sektor.
Nach
mühsamen
Verhandlungen einigte
man sich auf folgende
Quoten: 115.000 Visa für
1999 und 2000, im
Folgejahr nur noch
107.500. Danach soll
wieder die ursprüngliche
Quote von 65.000
greifen, falls nicht neu
verhandelt wird.
Politische Beobachter
bezweifeln jedoch, daß
sich noch höhere Quoten
kurzfristig durchsetzen
lassen.Dabei hat die
Einwanderungsbehörde
bereits Ende März mehr
als 92.500
H-1B-Visa ausgestellt.
Ende Mai dürfte das
Kontingent für dieses
Jahr (Turnus jeweils von
Oktober bis September)
schon komplett erschöpft
sein.
Mary
Dee Beall, Managerin für
Government Affairs bei
Hewlett-Packard (HP),
dem größten
High-tech-Arbeitgeber im
Valley, bestätigt, daß
die Zahl der Mitarbeiter
mit H-1B-Visa deutlich
steigt. 1998 hatten von
den rund 7.000
Neueinstellungen in
den USA 140
neue
Hewlett-Packard-Mitarbeiter
ein H-1B-Visum. In
diesem Jahr dürfte die
Zahl bei gut 200 liegen.
Der Mangel an
qualifiziertem Personal
in „hot spots“ wie etwa
der Software-Entwicklung
sei hoch, erklärt Mary
Dee Beall. Da schaue man
bei der Auswahl der
„best in class“ gerne
nach Europa und Asien.
HP
betreibe eine
langfristig angelegte
Personalentwicklung. Die
Entscheidung für einen
H-1B-Mitarbeiter sei
auch mit der
Bereitschaft verbunden,
die Umwandlung des
Arbeitsvisums in eine
Green Card zu
finanzieren. Beall
beziffert die Kosten
für
H-1B-Visa auf 2.000 bis
3.000 Dollar. Eine Green
Card, die in der Regel
nach fünf Jahren
angepeilt wird, koste
das Unternehmen zwischen
15.000 und 20.000
Dollar. Ähnlich ist es
beim Chip-Marktführer
Intel in Santa Clara.
Nach Aussagen von Tracy
Koon, Direktor für
Corporate Affairs, sind
von den rund 6.000
Mitarbeitern im Valley
350 auf Basis von
H-1B-Visa angestellt.
Allerdings handelt es
sich dabei um
ausgesprochen erfahrene
Spezialisten: Über 90
Prozent sind promoviert
oder haben den Master
Degree (Diplom) im
Bereich
Elektronik-Design und
Informatik vorzuweisen.
Das Auswahlkriterium
heißt auch hier: „best
of breed“, die Besten im
Fach.
KEINE
ARBEITSPLATZSICHERHEIT
Doch nicht jeder, der
einen Job im Silicon
Valley bekommen könnte,
nimmt ihn auch an. Denn
im Tal gibt es keine
Garantie, den einmal
erhaltenen Job über
Jahrzehnte zu behalten.
Und jemand, der viele
Jahre in einem
Unternehmen bleibt, wird
hier als Person
angesehen, die kein
Risiko eingeht und nur
begrenzte Erfahrungen in
unterschiedlichen
Unternehmenskulturen
besitzt. Der Erfolg von
manchen Start-ups beruht
ja gerade darauf, daß
Mitarbeiter von Erfolgen
und Fehlern vieler
früherer Arbeitgeber
gelernt haben.
„Auch
wenn manche Deutsche
ihren Chef nicht mögen
oder glauben, daß sie in
einem anderen
Unternehmen oder anderen
Land erfolgreicher
wären, vergessen sie
angesichts der
Arbeitsplatzsicherheit,
einem generell hohen
Lebensstandard und sehr
großzügigen
Urlaubsregelungen leicht
ihre Träume oder
Hoffnungen auf
Selbstverwirklichung.
Wer so komfortabel lebt,
kann mehr verlieren,
wenn er in die USA geht
und scheitert“, stellt
Robert Otis fest.
„Unsere Personalberatung
sucht in Europa, Asien,
Lateinamerika, Afrika,
dem Nahen Osten und den
USA für Positionen in
aller Welt. Ich würde
nie jemanden überreden,
ins Silicon Valley zu
gehen. Es ist weder
Himmel noch Hölle, es
ist einfach aufregend
und anders.“
Silke
Tittel/ Gala Conrad
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